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2.2.3. Zur Geschichte des Usenet

 

Das Usenet entstand 1979 als Verbindung zwischen der Duke Universität und der Universität von North Carolina. Es geht zurück auf die Initiative zweier Studenten, welche die Möglichkeit ausnutzten, zwei Unix-Rechner (34) über das zum Betriebssystem gehörige Softwarepaket UUCP (unix-to-unix-copy) miteinander zu verknüpfen. Daraus wurde ein Konferenzsystem, das über seinen Namen - Unix User Network - eine gewisse Selbstbezogenheit reflektierte. 1980 wurde ein Band mit einer Zusammenstellung der für das Usenet notwendigen Software auf einer Konferenz von Unix-Benutzern verteilt. Die Entwicklung des Usenet faßt die folgende Tabelle zusammen.(35)

 
Tabelle 2.2:   ENTWICKLUNG DES USENET 1979 - 1988

Jahr    Rechner    Artikel/Tag   
1979 3 2
1980 15 10
1981 150 20
1982 400 50
1983 600 120
1984 900 225
1985 1300 375
1986 2500 500
1987 5000 1000
1988 11000 1800

Für den Juli 1995 wurden 330.000 am Usenet beteiligte Rechner und eine durchschnittliche Anzahl von 127.446 Artikeln pro Tag angenommen.(36)

Das UUCP-Protokoll war darauf ausgelegt, Rechner über Modem und Telefonleitung zu verbinden. Bei der um 1980 üblichen Bandbreite (37) von 60 - 120 Bits/Sekunde stellten Telefonkosten einen nicht unerheblichen Faktor dar, der auf die Gestalt des Netzes Einfluß nahm. Im Juli 1981 hatte das Netzwerk in etwa das Aussehen, wie es die Abbildung 2.2 zeigt.(38)

 
Abbildung 2.2:   DAS USENET 1981. Die Kreise kennzeichnen Rechner, die Artikel weiterleiten; die Rechtecke stehen für Endpunkte. Aus Gründen der Übersichtlichkeit sind nur wenige Rechnernamen eingetragen. Die Überschneidungen sind ohne inhaltliche Bedeutung, d.h. die Verbindungen funktionieren auf geradem Weg. Es wurde nicht berücksichtigt, wo die Rechner topographisch liegen (z.B. ucbvax in Berkeley (CA), pur-ee in Lafayette (IN), decvax in Nashua (NH)).

Das Usenet war zu einem dezentralisierten Netz herangewachsen, für das die Rechner mit einer beständigen, verläßlichen Anbindung eine große Rolle spielten. Wie groß diese Rollen sind, läßt sich mit einem Gedankenspiel ermitteln: In Abbildung 2.3 unterhalten vier entscheidende Knoten keine Verbindung mehr zu den anderen Rechnern, und das Netz zerfällt in Einzelteile.

 
Abbildung 2.3:   DER FALL EINER STÖRUNG IM DEZENTRALEN USENET. Vier Rechner: ucbvax, decvax, chico und duke leiten nicht weiter. Infolge dessen zerfällt das Netz in Einzelteile.

Unter dem Gesichtspunkt des zuverlässigen Funktionierens des Netzes als Ganzem stellt sich ein dezentralisierter Aufbau als sehr störungsanfällig heraus.

Ab 1983 wurden die zentralen Rechner des Usenet unter der Bezeichnung ,,Backbone`` zusammengefaßt. Deren Administratoren standen untereinander in Kontakt und hatten erheblichen Einfluß auf die thematische Struktur des Usenet. Die Entstehung der alt-Hierarchie hing auch damit zusammen, daß die Fragen, welche Nachrichtengruppe eingerichtet, und an welcher Stelle der Hierarchien sie eingeordnet werden sollte, durchaus strittig waren. So ergab sich z.B. eine heftige Kontroverse um den Vorschlag, eine Nachrichtengruppe zum Thema Sex als rec.sex einzurichten. Der Vorschlag stieß bei den Administratoren der Backbone-Rechner auf Widerstand.(39) Einer der Initiatoren der alt-Hierarchie störte sich z.B. auch daran, daß sein Vorschlag einer Nachrichtengruppe für Feinschmecker von den Administratoren unter rec.food eingeordnet werden sollte. Die Machtposition der Backbone-Administratoren erlaubte es, entsprechende Entscheidungen nach eigenem Gutdünken vorzunehmen, denn nur deren Übereinstimmung konnte dafür sorgen, daß eine Nachrichtengruppe über das ganze Netz verteilt wurde. Ohne die Übereinstimmung konnte sich für die inhaltliche Verteilung das gleiche Muster ergeben wie bei einem Ausfall zentraler Rechner.

Paul Baran hatte in den sechziger Jahren Überlegungen angestellt, wie im Falle eines Atomkrieges die Kommunikation aufrecht erhalten werden könnte. Die damalige Anlage des Telefonnetzes wies die gleichen Kennzeichen eines dezentralisierten Netzes auf wie das Usenet in der ersten Hälfte der achtziger Jahre. Seine Befürchtung war, daß ein gezielter Angriff auf ausgewählte Stellen das gesamte Kommunikationssystem beeinträchtigen könnte. Er schlug daher ein Netz vor, daß keine Zentralen mehr kennt: ein verteiltes Netz, in dem jeder Knoten die Weiterleitung von Daten übernehmen kann (s. Abbildung 2.4).(40)

 
Abbildung 2.4:   SCHEMA EINES VERTEILTEN NETZES

Auf diese Weise bleibt, selbst wenn verschiedene Knoten ausfallen, das Netz als solches funktionsfähig. Tatsächlich fanden seine Überlegungen, ähnlich wie die des in etwa zeitgleich an demselben Problem arbeitenden Donald Davies, Eingang in das Design des Arpanet, der US-amerikanischen Keimzelle des Internet. Die grundlegende Charakteristik eines verteilten Netzes mit hoher Ausfallsicherheit gilt heute auch für das Internet.

Die wahrscheinliche Zuverlässigkeit eines Netzes läßt sich berechnen.(41) In eine vereinfachte Fassung gebracht, steigt mit dem Grad der Redundanz eines Netzes (42) dessen Zuverlässigkeit. Mit einem erhöhten Grad an Redundanz ist jedoch auf einer nicht-technischen Ebene ein qualitativer Sprung verbunden: Ein verteiltes Netz läßt sich nicht mehr kontrollieren.

Die Topologie des Usenet als ein dezentralisiertes Netzwerk hatte mindestens bis 1986 Bestand. Ab 1987 wurde das Prinzip des Backbones an verschiedenen Stellen durchlöchert: Die alt-Hierarchie wurde zur Verfügung gestellt, die Einrichtung neuer Nachrichtengruppen wurde formalisiert und quasi demokratischen Regeln unterworfen. Außerdem wurde 1986 das Network News Transfer Protocol (NNTP) veröffentlicht, das es ermöglichte, Usenet-Mitteilungen über das Internet zu transportieren. Mit der Überlagerung von Usenet und Internet, wie es NNTP erlaubte, übernahm das Usenet auch die Eigenschaft der Ausfallsicherheit. Bezogen auf die inhaltliche Ordnung hieß das: Eine effektive Kontrolle von zentralen Stellen war nicht mehr möglich, denn in einem verteilten Netz können Knoten, die bestimmte Gruppen nicht führen, umgangen werden.

Mit einem Wechsel von der administrativen Perspektive zu der des Benutzers verschiebt sich der Akzent dieses Phänomens. Innerhalb des Usenet werden die Artikel aktiv verteilt. Sie sind damit an vielen Orten zugleich erreichbar. Sollten Nachrichtengruppen nur in einem Teil des dezentralisierten Netzes geführt werden, sind die zugehörigen Mitteilungen aus anderen Teilen des Netzes nicht ohne weiteres zugänglich. Es müßte erst ein Zugang zu einem Rechner des Teilnetzes geschaffen werden. Über das Internet sind demgegenüber Nachrichtengruppen und damit die Mitteilungen in ihnen ubiquitär, weil der Zugang nicht erst geschaffen werden muß, sondern bereits vorhanden ist. Es macht dann kaum einen Unterschied, ob der lokale Usenet-Rechner eine Gruppe führt oder nicht, weil genausogut ein anderer Usenet-Rechner als Quelle benutzt werden kann. Der Ort, an dem eine Mitteilung bereitgestellt wird, spielt also in einem verteilten Netz, im Gegensatz zu einem dezentralen Netz, nur noch eine untergeordnete Rolle. Diese theoretische Möglichkeit muß in der Praxis eingeschränkt werden: Nicht alle Usenet-Rechner im Internet sind frei zugänglich, und von den Rechnern, die einen Zugang bieten, führen nicht alle sämtliche Nachrichtengruppen.


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